Wertschätzung

Dem Wertschätzungs-Index Deutschland von 2016 zufolge waren 30 % aller Befragten der Ansicht, dass ihre Fähigkeiten und Leistungen von ihrem Unternehmen nicht gesehen und anerkannt werden. Zum gleichen Ergebnis kommt der DGB-Index „Gute Arbeit“ in den Jahren 2018, 2019 und 2020. Fast ein Drittel der deutschen Beschäftigten hat den Eindruck, keine oder nur geringe Wertschätzung von Vorgesetzten zu erfahren.

Die Frage zur Beanspruchung „Wie stark belastet Sie das? (Wertschätzung durch Vorgesetzte)“ beantworteten 43 % mit (eher) stark belastend. Dieser Eindruck hat Konsequenzen für die Arbeitswelt bzw. Unternehmen. Denn Arbeitszufriedenheit hängt auch mit Wertschätzung zusammen, und eine empfundene Wertschätzung wirkt sich wiederum auf das Gesundheitsempfinden aus.

Anscheinend gibt es eine Diskrepanz zwischen der eigenen Wahrnehmung, selbst wertschätzend zu handeln und der Wahrnehmung der Person, die Wertschätzung empfängt. Dies betont Frau Prof. Dr. H. Paridon in ihrem Artikel „Wertschätzung und Kritik: Inflationär verwendete Worthülsen oder wirklich wichtig?“ in der Zeitschrift Sicherheitsingenieur (11/2020). Unternehmen und Führungskräfte gehen davon aus, dass sie wertschätzend kommunizieren bzw. Leistungen oder Verhaltensweisen loben bzw. anerkennen. Viele Arbeitnehmende sind offenbar anderer Ansicht.

Liegt das möglicherweise daran, dass man unterschiedliche Dinge meint, wenn man von Wertschätzung spricht? Wichtig ist, Wertschätzung von Lob oder vom Vermeiden von Kritik zu unterscheiden.

Lob meint die Anerkennung von Leistungen oder Verhaltensweisen durch sprachliche oder körpersprachliche Ausdrucksmittel. (Wikipedia, letzter Zugriff 05.03.2021)

Lob wird häufig (beabsichtigt oder unbewusst) mit einer Erwartung oder Bedingungen verbunden. „Sie sind meine beste Mitarbeiterin/mein bester Mitarbeiter. Wem soll ich denn sonst die Mehrarbeit geben? Sie schaffen das schon.“ Mit einem Lob für eine Leistung oder ein Verhalten unterziehen wir die Handlungen erst einmal einer Überprüfung und bewerten sie dann nach (unseren) Maßstäben als gut oder schlecht, richtig oder falsch, wichtig oder unwichtig. Damit sind wir aufgewachsen, deshalb empfinden wir das als ganz normal und denken nicht weiter darüber nach. Nicht selten hört man in bester Absicht: „Das haben Sie gut gemacht.“ Ist das schon Wertschätzung?

„Wertschätzung [...] gründet auf einer inneren allgemeinen Haltung anderen gegenüber. Wertschätzung betrifft einen Menschen als Ganzes, sein Wesen. Sie ist eher unabhängig von Taten oder Leistung [...]“. (Wikipedia letzter Zugriff 05.03.2020)

Wie könnte man die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Wertschätzung auch als solche ankommt?

Eine Möglichkeit ist die Einstellung im Umgang mit anderen Menschen und sich selbst (Menschenbild) im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) von Marshall B. Rosenberg.

Marshall B. Rosenberg ging u. a. davon aus, dass alles was wir sagen oder tun, ein Ausdruck unserer Bedürfnisse ist bzw. dazu dient, unsere Anliegen zu erfüllen. Wir alle haben grundsätzlich die gleichen Bedürfnisse, jedoch unterschiedliche Strategien, diese zu befriedigen. Zudem stehen zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Bedürfnisse im Vordergrund.

Auch wenn sich die GFK einer Sprache in (vier) Schritten bedient, ist sie keine bloße Technik. Sie will nicht als Manipulation, um etwas zu erreichen, verstanden werden, sondern als Ausdruck des ihr zugrundeliegenden Menschenbildes.

Drei „Zutaten“, um Wertschätzung im Sinne der GFK :

  1. Die Handlungen, die zu unserem Wohlbefinden beigetragen haben. (Was haben wir andere sagen hören oder was haben wir gesehen, was andere tun?)
  2. Unsere jeweiligen Bedürfnisse, die sich erfüllt haben.
  3. Die Gefühle, die sich durch die Erfüllung dieser Bedürfnisse eingestellt haben.

Die Reihenfolge ist variabel.

Spüren Sie doch einfach mal nach, welche Aussagen sich für Sie angenehmer anfühlen. Bei welchem Beispiel haben Sie eher den Eindruck gesehen, wahrgenommen und wertgeschätzt zu sein?

Beispiele

Als ich heute Morgen die E-Mails gecheckt habe, habe ich gesehen, dass Sie mir den Projektabschlussbericht bereits zugesandt haben. Darüber freue ich mich sehr, da mir Zuverlässigkeit wichtig ist. Danke!
vs.: Sie haben den Projektabschlussbericht pünktlich geschickt. Danke.

Sie haben die Präsentation für den Vorstand gemacht. Ich freue mich darüber, weil mich das unterstützt und ich dadurch meine Zeit für andere Dinge nutzen kann. Vielen Dank.
vs.: Danke für die sehr gelungene Präsentation.

Haben Sie einen Unterschied bemerkt?

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema befassen wollen:

  • Rosenberg, M. B. (2016), „Gewaltfreie Kommunikation - Eine Sprache des Lebens“, Paderborn: Junfermann
  • Brüggemeier, B. (2017), „Wertschätzende Kommunikation im Business. Wer sich öffnet kommt weiter“, 4. überarbeitete Aufl., Paderborn: Junfermann
  • Fabian, C. (2018), „Lob und Anerkennung frei von Manipulation“, Darmstadt: Schirner Verlag
  • kostenlos herunterladen: Fachartikel "Mitarbeiter wünschen sich mehr Anerkennung am Arbeitsplatz“