Der Gesetzgeber schreibt seit Ende 2013 explizit vor, dass Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung auch für psychische Belastungen durchführen müssen, um psychische Risiken am Arbeitsplatz zu erkennen und ihnen vorzubeugen. Grund dafür ist unter anderem die Zunahme von Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund psychischer Erkrankungen und eine sich verändernde Arbeitswelt (beschleunigte Kommunikationsprozesse, Entgrenzung der Arbeit, etc.).
Der Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt, welchen psychischen Anforderungen Beschäftigte in Deutschland ausgesetzt sind. Dazu zählen u.a. anhaltend hoher Zeitdruck, häufige Unterbrechungen bei der Arbeit, monotone Tätigkeiten, fehlende Erholungsmöglichkeiten und Multitasking. Denn all diese Faktoren verursachen Stress. Ob es am Arbeitsplatz solche Fehlbelastungen gibt, soll mit der Gefährdungsbeurteilung herausgefunden werden. Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist es, menschengerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen, damit die Beschäftigten gesund und motiviert bleiben.
Um den aktuellen Zustand im Unternehmen zu beschreiben, gibt es verschiedene Methoden. Welches Verfahren passend ist, hängt auch von der Größe des Betriebes ab. Ein Verfahren, das für jedes Unternehmen passend ist, gibt es nicht.
Bei der Gefährdungsbeurteilung ist nicht vorgeschrieben, „wie“ der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durchführt, sondern lediglich, „dass“ er es tut.
Die Methoden für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen unterscheiden sich nach der Tiefe der Analyse. Das Herzstück jeder Gefährdungsbeurteilung sind die Maßnahmen, die entwickelt werden, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese müssen auch regelmäßig auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.
Wenn es um die Themen „Belastung“ und „Psyche“ geht, werden viele Beschäftigte hellhörig und haben Sorge, dass ihre Leistungsfähigkeit erfasst oder ihre psychische Verfassung untersucht werden soll. Das ist aber nicht der Fall! Im Alltag hat der Begriff „psychische Belastung“ eine eher negative Bedeutung; in der Arbeitswissenschaft ist der Begriff aber wertneutral. Es geht um die Beurteilung der Arbeitssituation, nicht um die Beurteilung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters. Die Beschäftigten sollen nicht „psychologisch durchleuchtet“ werden. Vielmehr sollen die Merkmale ihrer Tätigkeit beschrieben werden, um diese möglichst gut zu gestalten und um negative Wirkungen auf die Gesundheit zu vermeiden.
Im Mittelpunkt der Gefährdungsbeurteilung stehen Belastungen und Belastungskombinationen, die krank machen. Es geht nicht um die konkrete Auswirkung auf den einzelnen Beschäftigten, sondern um die Prävention psychischer Fehlbelastungen. Arbeitsplätze, die sich von den Arbeitsbedingungen her ähnlich sind, können zusammengefasst werden, denn die Gefährdungsbeurteilung ist nach Art der Tätigkeit vorzunehmen.
Es geht allgemein um Arbeitsbedingungen, die zu negativen Auswirkungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen können. Denn Untersuchungen zeigen: Auf lange Sicht und kombiniert mit anderen Einflussfaktoren wirken sich bestimmte Bedingungen (z. B. Stress plus mangelnde Kommunikation) auf die Mitarbeiter negativ aus. Mit der Gefährdungsbeurteilung sollen solche Gefahren erkannt und beseitigt werden.
Wichtig ist, dass der Arbeitgeber vorab ganz klar macht, worum es bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen geht (nämlich gesunde Strukturen in der Organisation zu schaffen) und was nicht Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist (Aufdeckung psychischer Erkrankungen). Klar ist aber auch, dass mit Mitteln des Arbeitsschutzes nicht alle psychischen Belastungen gestaltbar sind. Denn
gravierende Belastungen wie Angst vor
Arbeitsplatzverlust und zunehmende
Anforderungen an die Flexibilität können mit Maßnahmen des Arbeitsschutzes kaum reduziert werden. Das sollte klar kommuniziert werden, um Enttäuschungen zu vermeiden.
Wie bei jeder Gefährdungsbeurteilung ist auch hier das Ziel, Ursachen für Störungen der Arbeit zu verringern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen in einem gesunden Arbeitsumfeld arbeiten und langfristig gesund bleiben. Denn negative psychische Belastungen am Arbeitsplatz können zu Fehltagen, Produktionsausfall und hoher Fluktuation führen, was mit erheblichen Kosten verbunden ist. Auch Unfälle können die Folge sein, z. B. nach überlangen Arbeitszeiten.
Nach Erhebungen der Europäischen Kommission belaufen sich die Extra-Ausgaben durch psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz europaweit auf rund 20 Milliarden Euro pro Jahr. Deshalb sollte das Ziel jedes Arbeitgebers sein, psychischen Fehlbelastung am Arbeitsplatz rechtzeitig gegenzusteuern.
Eine Gefährdungsbeurteilung für psychische Belastungen durchzuführen, ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben – sie lohnt sich auch. Experten gehen davon aus, dass die Krankheitskosten in Unternehmen nach einer angemessenen Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Umsetzung entsprechender Maßnahmen um durchschnittlich 26 Prozent sinken. Zudem zeigt die Erfahrung, dass sich der Prozess positiv auf den Arbeitsalltag auswirkt: Die innerbetriebliche Kommunikation wird verbessert und die Produktivität erhöht.
Dass sich Investitionen in Prävention sowohl für Beschäftigte als auch für Unternehmen lohnen, zeigt auch der Report der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) von 2015. Darin werden die Ergebnisse von Studien zusammengefasst, die die Wirksamkeit und den Nutzen betrieblicher Prävention und Gesundheitsförderung untersuchen. Die Studienergebnisse zeigen, dass sich betriebliche Gesundheitsförderung für Unternehmen lohnt: Krankheitsbedingte Fehltage sinken durchschnittlich um ein Viertel; außerdem führen sie zu einem positiven Return on Investment (ROI). Das heißt: Mit jedem investierten Euro können 2,73 Euro durch reduzierte Fehlzeiten eingespart werden.
Wichtig: Im Rahmen der Analyse wurden sogar nur Präventionsmaßnahmen berücksichtigt, die bis 2012 stattfanden. Damals war die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen noch nicht explizit im Arbeitsschutzgesetz aufgenommen. Das heißt, die Quote dürfte in Zukunft noch steigen.
Auch auf die Beschäftigten wirken sich die Maßnahmen der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung positiv aus. Der iga-Report betont, dass bei einem Großteil der Betriebe die Maßnahmen dazu führten, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dadurch in einer besseren körperlichen und psychischen Verfassung waren.